Festgefügte Fruchtfolge
Die 34 beginnt mit einem korrigierten Wiederabdruck der Gedichte von Lucía Sanchez Saornil unter dem Titel Ein paar Gedichte, aus der mütze 33, aus dem Spanischen von Brigit Kirberg und Christian Filips. Die „radikalen Interpunktionsinterventionen“ s.u. sind verschwunden: „An das Seelenpiano / legt keiner Hand an“. Es folgt ein weiterer Text der Dichterin, ein Vortrag zum Thema Feminismus, der auch heute (fast) so gehalten sein müsste. „Sie wettern zwar gegen das Eigentum, sind aber selber radikal besitzergreifend“. Leider ohne Datum, „Man verschmäht die Frau als bestimmenden Faktor der Gesellschaft und weist ihr den Status eines passiven Faktors zu. Man verspottet den direkten Beitrag einer intelligenten Frau zugunsten ihrer vielleicht unfähigen männlichen Nachkommen. Ich sage es nochmal: Wir müssen die Dinge beim Namen nennen“, aktueller kann Historisches nicht sein: „Letzten Endes bin ich der Meinung, dass die Lösung dieses Problems allein in einer angemessenen Lösung der wirtschaftlichen Frage liegt. Im Systemwechsel. Nirgends sonst. Alles andere behält die alte Sklaverei bei und ruft sie lediglich bei einem neuen Namen.“
Ein Text von Carl Weuster, Zur Frage unseres Exils, in einer überdeterminierten Sprache zwischen DIN-Büro- & Literaturjargon geht via spirituell konstruierter Gegenwelt aus „Reservaten, fröhlicher Diaspora“, zwischen Lyonesse und Brocéliande, der Suche nach „dem Ursprung des Exils“ nach. Diese bliebe eine Aufgabe der Gemeinde, „die Kirche leitet hieraus unseren Anspruch auf Rückkehr ab, sowie auf Rückübertragung der Gebiete und Stätten, die sie als die unseren identifiziert haben will.“ […] „Die Philosophie der Metazeit ist die jüngste unserer vier großen Schulen. Wie alles Neue verdanken wir sie dem Lachen über das, was vor ihr kam, wie auch dem Verhaften daran.“ Weusters Prosastück wirkt wie eine Allegorie auf jüngste (älteste) Verwerfungen des (realen) Zusammenlebens (Lachens). Es gebe „Praktiken der Erleuchtung“, z.B. „Fasten, Gebet sowie die Technik des meditativen Lachens“ zwischen „Sklaven-Sein und Sklaven-Sein“ stellt die Erzählstimme fest, schließlich das kommunal geleistete Schweigegelübde, welches aufzuweichen, einmal zur Erkenntnis gelangt während Forschens, den Traktat interessiert. Zuallerletzt jedoch sozusagen im Angesicht des Großen Schöpfs, wie Iwan Karamasow, schließt der wissbegierige Traktat mit einem „Geheimnis!“ und breitet damit erneut den Mantel des Schweigens über etwaige Antwort.
Heinz Peter Geißler beschert eine Sternstunde. In seiner Prosa Unsere berühmte argentinische Stille reiht sich Sagenhaftes aneinander, „Man bleibt in seiner Betrachtung immer zur Hälfte ein Schmetterling“. Spielerisch, doch mit allem technischen Ernst purzelt aus einer niedlichen Bruder-Rahmenhandlung ein Kolibri nach dem nächsten. „Das Schächtelchen blieb das Schächtelchen. Wind kam von vorn und verschwand dementsprechend hinten. Erinnerung schaute die Wirklichkeit wie aus einem Rückspiegel an. Wirklichkeit fuhr auf die Erinnerung zu. Eine Astgabel wurde zur Erinnerung an eine Zwille.“ Seine Leichtigkeit verbunden mit der ihm eigenen Tragikomik, bei sprachlicher Ausgeh-Lust, macht Geißlers Text zu einem Showstopper, der jedes Wiederlesen mit neuen Finessen belohnt. Stills für die Ewigkeit:
„Er beißt beim Schlucken immer mit seinen ganzen Zähnen zu.
In der Biene sitzt ein Ton und sie fliegt mit ihm davon.
Wenn ich in meine Hände sehe, sehe ich Freude in meinen Händen drin.“
Jede*r findet vermutlich eigene Satz-Ewigkeit in der Berühmten argentinischen Stille.
Danach haben es die Texte schwer. Michael Donhauser erforscht in Parfums den „Duft von Tinte“ in abenteuerlich ausufernden Ein-Satz-Miniaturen, die nicht ganz auf den Punkt kommen möchten, sondern herum flirren & mit jedem neuen Komma eine andere Richtung einschlagen, jedoch im letztendlichen Bogen in ihre Semantik zurückfinden. Als wäre jenes Schreiben jeweils ein Jungfernflug einer Biene s.o. aus dem Stock in den Stock.
„uns blinkt ein morgen, ohne immortellen“, etwas geschmolzene Prosa kommt von Jayne-Ann Igel, die in den 80ern (Entstehungszeit) startet, so die Selbstauskunft, und mit Texten heutigen Jahrs „korrespondieren“, in Wirklichkeit aber etwas ausgestellt wirken, ohne dass sich jenseits ihrer eigenen Logik etwas ergibt, „das funkeln der sterne auf vaters zunge“ zieht sich ein wenig.
Eleonore Frey beschließt die aktuelle mütze mit Täter und Tatort, einer dichten, wenn auch stellenweise bemühten Engschilderung von Kriegs- und Kindheitslogik, die ebenfalls mit einem unglücklichen Heute zu korrespondieren scheint.
Geißlers Beitrag bleibt die Punktlandung der 34, eventuell sogar einiger mützen.